Der Anfang und das Ende jeglicher Fantasie
Schülerinnen des 13.Jahrgangs der GSH erforschen Möglichkeiten und Grenzen von Virtual Reality im Rahmen eines Workshops im Kreativspeicher M28 in der Speicherstadt.
Bei welchen Fragen treffen sich Biologie und Philosophie, Kunst und Technik? Sicherlich nicht bei den leichten, den Allerweltsfragen, die schnelle Antworten versprechen. Eine große Schnittmenge gemeinsamer Fragestellungen ergibt sich jedoch im Hinblick auf die Themen Wahrnehmung, Realität, Schein und Sein, Abbild und Original. Denn unweigerlich führt uns die Frage danach, wie der Mensch die Welt – Was ist das? – wahrnimmt, von der Ebene der biologisch beschreibbaren Prozesse zu den Kernfragen des Philosophierens und unseres Menschseins: Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Erzeuge ich meine eigene Realität? Wer bin ich und wer will ich sein? Und der Blick eines Künstlers, gedacht sei an René Magritte genauso wie an die von Jeff Koons, Marina Abramovic und Olafur Eliasson entwickelte VR-Kunstplattform Acute Art, gestaltet diesen Fragehorizont oft in eindrucksvollen Werken.Mit solchen Fragen waren also am 12. September 2019 die siebzehn Schülerinnen des Oberstufen-Kunstprofils im Forschungs- und Transferzentrum (FTZ) Digital Reality der HAW Hamburg genau richtig, als sie sich gemeinsam mit ihrem Biologielehrer Herrn Kahlert und ihrer Philosophielehrerin Frau Wandrow über aktuelle Trends in der VR-Technologie informieren lassen wollten. Im Vordergrund des Workshops, der von Manuela Uhr und Anna Wolf geleitet wurde, stand dabei vor allem die Frage nach der technischen Erzeugung und Umsetzung digitaler Welten.
Für den größten Teil der Schülerinnen war es eine vollkommen neue und spannende Erfahrung mittels der freeware UNITY und unter der professionellen Anleitung von Manuela Uhr eine eigene digitale Szenerie zu erschaffen, die dann mittels VR-Brille auch noch Schritt für Schritt durchlaufen werden konnte. Nach dem Prinzip „try and error“ vorgehend gerieten selbst blutige Anfängerinnen in den Sog, die eigene Fantasiewelt weiter ausbauen und perfektionieren zu wollen. Und somit schafften es die Teamerinnen, was ihr erklärtes Workshop-Ziel war, junge Frauen von der passiven Rolle einer Zuschauerin oder Spielerin in die aktive Rolle einer kreativen Gestalterin eines eigenen VR-Spiels zu versetzen.
Das Interesse war geweckt: Und so stellten sich bei den Schülerinnen des Abschlussjahrganges schnell berufsorientierende Anschlussfragen danach, wer an der Entwicklung von Virtual Reality beteiligt sei. Und die Liste der Studienberufe ist lang: Designer, Artist, Programmer, Level designer, Sound designer, Music composer, Marketing expert etc. pp. Welche beruflichen Chancen und Möglichkeiten in diesen neuen, an der HAW Hamburg studierbaren Berufsfeldern liegen, erfragten die Schülerinnen im Gespräch mit den Expertinnen genau.
Kritischer noch geriet auch in den anschließenden Diskussionen in der S-Bahn und im Philosophieunterricht in den Blick, welche Vor- und Nachteile die Erschaffung von virtuellen Welten für das gesellschaftliche Leben der Menschen mit sich brächte.
Virtuelle Welten hat sich der Mensch schon immer geschaffen: in Mythen und Legenden, in Märchen und Romanen, im Film und in der Kunst. Und der Verzicht auf Virtualität wäre gleichbedeutend mit dem Verzicht auf jegliche Fantasie, gleichbedeutend mit der Ausrottung gedanklicher Utopien, gleichbedeutend mit einem Begräbnis all unserer Träume und der Todesstoß für jeden Gedanken, der nicht schon Realität ist. (nach Ulrich Mergez, 2013)
Ausgehend also von der Erkenntnis, dass unsere Zukunft durch den Begriff der Mixed Reality oder Augmented Reality, d.h. das Einblenden digitaler Inhalte in die reale Umgebung am ehesten charakterisiert werden kann, hinterfragten die Kursteilnehmerinnen zunächst, wann VR-Technologie als geniales Hilfsmittel, das Fantasie, Träume und Utopien lebendig werden lassen kann, zum Medium für Weltflucht gerate. Klar ist allen, ein Zurück aus virtuell überformten Welten gibt es heute sicher nicht mehr. (Pia B.) So bleibt die Frage, wie damit umzugehen sein wird. Wollen wir eine als zu langweilig empfundene Realität in Zukunft nicht mehr? (Lea B.) Wieviel virtuelle Freiheit brauchen wir? Wieviel Freiheit findet man in VR? (Antonia B.) Messen wir die reale Welt an der virtuellen oder umgekehrt? (Luca K.)
Abschließende Antworten haben die Schülerinnen der GSH noch nicht. ABER erst Ideen, langsam sich entwickelnde und noch zu prüfende Anschauungen. Ein Gedanke macht allerdings Mut, egal wohin VR-Technologien sich entwickeln: Wenn „kritisches Denken weiter gewährleistet“ (Catherine B.) ist, sind wir in der Zukunft für die Auseinandersetzung mit den Produkten der Verschmelzung von realen und virtuellen Welten gut aufgestellt.